"Wände einreißen, statt sie hochzugehen"

„Wände einreißen, statt sie hochzugehen“ – Lesung der Kapitänin Pia Klemp

Am vergangenen Donnerstag durften wir Oberstufenschülerinnen und -schüler in der Aula des BG einen besonderen Gast begrüßen: Pia Klemp, deutsche Kapitänin, Menschenrechtsaktivistin und Romanautorin, die sich vor allem durch ihre Arbeit in der Seenotrettung einen Namen gemacht hat.

Nach ihrem Abitur im Jahr 2003 am Beethoven-Gymnasium hat sich Frau Klemp dem Kampf für Rechte von Geflüchteten verschrieben, obwohl sie sich hierdurch immer wieder selbst in Gefahr begibt. 2019 drohten ihr bis zu 20 Jahre Haft wegen vermeintlicher Beihilfe zu illegaler Migration. Im Rahmen ihres Besuchs am BG las Pia Klemp mehrere Passagen aus ihrem Buch „Wutschrift“.

Darin beschreibt sie auf eindrückliche Weise die mitunter schockierenden Erfahrungen von Menschen auf der Flucht. Besonders eindringlich berichtete sie von der grausamen Misshandlung und sogar Folter von Geflüchteten, die in der Regel von europäischen Organisationen völkerrechtswidrig zurück nach Libyen gebracht werden. Pia Klemp machte deutlich, dass ziviles Engagement für die Seenotrettung zunehmend blockiert und kriminalisiert werde. Bespielhaft deutlich wird diese durch diverse Initiativen, die von bürokratischen Hürden über amtliche Schikanen bis hin zu Einschüchterungen und juristischer Verfolgung der Aktivisten reichen. Seit 2015 waren 28 private Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeer und in der Ägäis im Einsatz - gegen 18 von ihnen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Gründe dafür waren zum Beispiel der Vorwurf falscher Etikettierung von Müll oder angeblich zu vieler Personen an Bord.Die hieran erkennbare staatliche Willkür trifft damit jene, die sich für die Rettung vonMenschenleben einsetzen.Frontex, die europäische Organisation für Grenzsicherung der EU-Außengrenzen, erhält ein stetig wachsendes Budget von derzeit 544 Millionen Euro, während die EU-Agentur für Grundrechte mit nur 24 Millionen Euro auskommen muss. Hier zeigt sich deutlich die Prioritätensetzung dergegenwärtigen europäischen Politik.

Ein weiteres zentrales Thema in Frau Klemps Buch ist die Wut – eine Grundemotion, die uns Menschen befähigt, schnell auf Ereignisse zu reagieren. Pia Klemp sprach darüber, wie Wut und Ärger als „Alarmglocken“ dienen können, die uns auf Ungerechtigkeiten hinweisen und uns zu engagiertem Handeln anregen sollen. Sie ging hierbei auch auf die Rolle von Sexismus und die Gegenüberstellung von Mann und Frau sowie auf die Bedeutung der Demokratie ein, die unser freiheitliches Zusammenleben sichert. Recht und Unrecht sind in ihren Augen immer eine Frage der Perspektive.

Nach der eindrucksvollen Lesung hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Fragen an diesen besonderen Gast zu richten. Frau Klemp berichtete offen, dass sie trotz der Erfahrung eines Gerichtsprozesses keine ihrer Handlungen bereue. Sie kritisierte vielmehr das Strafrechtssystem und forderte eine gerechte und gleichwertige Behandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Auf die Frage, wie ihre Seenotrettungsmissionen finanziert werden, antwortete sie, dass dies vor allem durch viele kleine Spenden möglich sei. Besonders bewegend war ihre Schilderung eines Ereignisses, das sie eigenen Angaben zufolge nie vergessen wird: Ein dramatischer Kampf zwischen der Seenotrettung und der libyschen Küstenwache vor einem gekenterten Flüchtlingsboot. Während Klemp und ihr Team ein Drittel der Geflüchteten retten konnten, ertranken viele weitere oder wurden zurück nach Libyen verschleppt. Die Schreie der ertrinkenden Menschen verfolgen sie ihren Schilderungen zufolge bis heute.

Zum Abschluss wurde Pia Klemp gefragt, was wir als Schülerinnen und Schüler tun können. Ihre Antwort: „Sprecht darüber! Dieses Thema darf nicht in Vergessenheit geraten.“ Insgesamt hat uns Pia Klemps Besuch alle tief bewegt. Ihr Besuch zeigt, wie wichtig es ist, aktiv über Flucht, Menschenrechte und unsere Rolle in der Gesellschaft nachzudenken.

Nils Goncz (EF)