„Wir weigern uns, Feinde zu sein“

„Wir weigern uns, Feinde zu sein“ – das ist eines der Prinzipien von Daoud Nasser. Der palästinensische Christ kam am Donnerstag, dem 11. September, an das Beethoven-Gymnasium. Er suchte das Gespräch mit uns, um uns seine Lage näherzubringen. Er stammt aus dem Westjordanland, wo er ein 42 Hektar großes Grundstück besitzt, das seit über 100 Jahren in Familienbesitz ist. Da das Westjordanland jedoch seit 1967 unter israelischer Besatzung steht, geriet er mit seiner Familie immer wieder in Schwierigkeiten, vor allem aufgrund der Siedlungspolitik Israels. Die Regierung versucht immer wieder, das Land von Daoud Nassar zu enteignen. Doch er kann sich auf eine Absicherung berufen: Sein Großvater ließ das Land nach dem Kauf von mehreren Staaten registrieren und erhielt Papiere, die den Besitz bestätigen. Dennoch versucht die israelische Regierung immer wieder, das Land zu annektieren, weshalb sich Nassar bereits seit 34 Jahren in einem Rechtsstreit um das Grundstück befindet. Die juristischen Kosten belaufen sich im Verlauf der Jahre auf 200.000 Euro. Da er diese Summe natürlich nicht aufbringen kann, ist die Finanzierung nur durch die Unterstützung europäischer Spender möglich.

Neben den juristischen Problemen wird der Familie fortlaufend der Zugang zu Versorgungsinfrastrukturen wie Wasser und Elektrizität verweigert. Zudem gibt es für das Grundstück von Daoud Nassar keine Baugenehmigung, sodass sie sich beispielsweise keine Häuser bauen können. Zudem haben sie immer wieder Probleme mit gewaltbereiten, radikalen jüdischen Siedlern. Trotz alledem steht Daoud Nassar an diesem Tag vor uns und sagt ganz selbstverständlich: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ Er möchte kein Opfer sein und sich aufgrund seines christlichen Glaubens weder mit Gewalt wehren noch von seinem eigenen Grundstück fliehen, denn dies ist seine Heimat. Nassar bleibt standhaft und sucht nach Lösungen: 

Sie begannen beispielsweise damit, Regenwasseranlagen zu verwenden und Solarpaneele aufzustellen.

Zudem hat Daoud Nassar seit 2001 ein Projekt namens „Tent of Nations” (kurz TON) auf dem Gelände als internationale Begegnungsstätte eingerichtet. Die Prinzipien lauten: „Wir weigern uns, Feinde zu sein. Wir weigern uns, zu hassen. Wir leben unseren Glauben und wir glauben an Gerechtigkeit.” Seitdem werden dort immer wieder Projekte durchgeführt. Beispielsweise gibt es Kindersommeraktivitäten, bei denen mit traumatisierten Kindern gearbeitet und ihnen mithilfe von Musik und Kunst geholfen wird.

Ein Problem ist die Siedlungspolitik der israelischen Regierung: Radikale Siedler zerstörten beispielsweise 250 seiner Obstbäume mit Bulldozern, ohne dass sie jemand stoppen konnte. Was danach passierte, war ihm besonders wichtig zu betonen: Eine jüdische Gruppe aus England bezahlte nicht nur die entstandenen Kosten, sondern flog auch hin, um bei der Pflanzung zu helfen und zu zeigen, dass dieses Verhalten keineswegs mit dem Judentum in Verbindung gebracht werden kann und nicht in deren Namen geschieht.

Daoud Nassar wollte uns damit die Differenzierung zwischen normalen und radikalen Siedlern sowie zwischen Siedlungspolitik und Religion vermitteln. Nicht alle Menschen jüdischen Glaubens besitzen die israelische Staatsbürgerschaft, und nicht alle Israelis stimmen der Siedlungspolitik und dem Verhalten der radikalen Siedler zu. 

Und das wollte er uns, denke ich, klarmachen – auch indem er von einer Begegnung mit einer Siedlerin erzählte. Anstatt mit Waffen auf sein Grundstück zu kommen, was eigentlich häufig der Fall ist, kam sie, um ihren Nachbarn zu treffen und das Gespräch zu suchen. Als Daoud Nassar ihr die Verhältnisse, unter denen er lebt, erklären wollte, reagierte sie zunächst ungläubig. Dies verdeutlicht die eingeschränkte Wahrnehmung vieler Siedler hinsichtlich der Situation der Palästinenser im Westjordanland.

Zum Schluss äußerte Daoud Nassar noch seine Wünsche für die Zukunft. Einerseits möchte er eine Umwelteinrichtung aufbauen, da der Nahe Osten besonders von der Klimakrise betroffen ist und es dort nur sehr wenige dieser Einrichtungen gibt. Abschließend betonte er noch einmal, dass ein Kriegsende nicht von heute auf morgen komme, da Wunden heilen müssten: „Frieden ist ein langer Weg, aber man muss kleine Schritte gehen.“ Und das ist auch, was ich aus

Herrn Nassars Vortrag mitgenommen habe: Es geht darum, dem anderen entgegenzukommen und ihm – in seinem Fall – zu erklären, dass man genauso ein Mensch ist wie er, aber nicht mit Gewalt, sondern mit Offenheit, Respekt und Menschlichkeit.

Tilman Imhäuser, Q1