Ein Stück lebendige Geschichte im Beethoven-Gymnasium

Am 9. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen. Es ist der Tag, an dem tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden, es ist einer der dunkelsten Tage in der deutschen Geschichte. Ganz anders als am Abend der Reichspogromnacht brachte Abraham Lehrer am 9. November 2022 so viel Licht und Wärme mit in das Beethoven-Gymnasium, als er uns, den Schülerinnen und Schülern der Q1 und Q2, von seinem Leben erzählte, uns mitnahm in seine Familiengeschichte und mit viel Geduld erklärte, was es heißt, als Kind jüdischer Eltern, die die Nazizeit nur knapp überlebt hatten, aufgewachsen zu sein.

Frau Schaaf hat den Abend aufwändig organisiert. Herr Wolfshohl, ehemaliger Direktor des Beethoven-Gymnasiums, hielt das Vorwort zu dem Vortrag unseres Gastes, der im Anschluss seine berührende Lebensgeschichte mit uns teilte. Als zweites Kind der Familie in New York geboren, kehrte Abraham Lehrer mit seinen Eltern 1954 nach Deutschland zurück, nach Köln. Der Krieg war gerade einmal 9 Jahre vorüber; seine Mutter hatte das Vernichtungslager Auschwitz überlebt, sein wie die Mutter aus Polen stammender Vater war aus verschiedenen Arbeitslagern geflohen.

Die jüdische Religion spielte für ihn in seiner Jugend keine besondere Rolle, obwohl seine Eltern stetig in jüdischen Gemeinden tätig waren. Erst kurz nach dem Abitur begann er sich selbst mit dem jüdischen Glauben auseinanderzusetzen. Schnell wurde er Jugendleiter des Jugendzentrums in Köln und ist heute Dank seines Engagements Vizepräsident des Zentralrats der Juden, ebenso wie er das Amt des Vorsitzenden des jüdischen Wohlfahrtsverbandes bekleidet.

Aber was löste das plötzliche Interesse an der eigenen Familiengeschichte aus? Es war der Tod seines Vaters, der unzählige Fragen in seinem Kopf hervorbrachte. Beide Eltern hatten nie viel über diese Zeit gesprochen, wie dies typisch für Opfer der brutalen Judenverfolgung ist. Zu grausam, zu unmenschlich war die Zeit, als über sie zu sprechen. Doch mit dem Tod des Vaters war der Drang nach Verstehen und Nachfühlen nicht mehr aufzuhalten. Abraham Lehrer wollte endlich Auschwitz besuchen, das KZ, das seine Mutter überlebt hatte. Während er von seinem Besuch in Auschwitz erzählt, fühlt man als Zuhörer, wie ihn diese Erfahrung geprägt hat und noch heute berührt. Die Lager, der Stacheldraht, der Eingang mit dem menschenverachtenden Spruch „Arbeit macht frei“; all das hat tiefe Spuren hinterlassen.

Wie unterschiedlich der Umgang mit dem Trauma der Nazizeit war, konnte Abraham Lehrer später anhand seines Schwiegervaters erfahren. Im Gegensatz zu seinen eigenen Eltern, die die Zeit durch Schweigen zu verdrängen versucht hatten, erzählte sein Schwiegervater nur die lustig verpackten Geschichten von Auschwitz, bis er schlussendlich das Angebot bekam, einen Film über sein Leben drehen zu können. Alle Schritte seines Lebens musste er tief bewegt noch einmal durchleben und resümierte Auschwitz nie wieder betreten zu wollen.

Und wie ist das jüdische Leben in Deutschland heute? Es gibt jüdische Konfessionsschulen, eine lebendige Kölner Gemeinde, in der es von der Krabbelgruppe bis zum Pflege- beziehungsweise Elternheim alles gibt, berichtet unser Gast. Es gibt Begegnungszentren in Köln und Umgebung, welche Rechtsberatung, Gesundheitsberatung und Gottesdienste mit großem Erfolg für die jüdische Gemeinde anbieten. Das jüdische Leben ist als bereichernder Teil unserer Gesellschaft seit Jahrzehnten nach Köln, nach Deutschland zurückgekehrt. 

Bevor die Fragerunde beginnt, zu der sich Herr Lehrer bereiterklärt hat, richtet er noch eine wichtige Bitte an alle: „Seht niemals über jegliche Diskriminierung hinweg, sondern sprecht sie offen an, helft, schreitet ein und schaut nicht passiv zu, wenn andere diffamiert oder erniedrigt werden, zeigt Zivilcourage, ohne dabei Gewalt auf euch selbst zu ziehen.“

Zeitlich mögen wir alle nur ein weiteres der zahlreichen Angebote des Beethoven-Gymnasiums genutzt haben. In Wahrheit aber haben wir mit diesem Abend zwei stetige Begleiter mit auf unseren Weg gegeben bekommen: Es sind die Wachsamkeit gegen Ausgrenzung, gegen Meinungsmache, gegen Hetze und es ist der Mut, dagegen aufzustehen und für das Gute einzustehen, es ist das Rückgrat, das wir alle brauchen.

Ein herzlicher Dank also an Abraham Lehrer, der uns mit seinen ganz privaten, berührenden Schilderungen so sehr bereichert hat.

Charlotte Ramirez Schulschenk (Q1)

 

Schulleiter Herr Bramstedt, Herr Lehrer, Herr Wolfshohl, Frau Schaaf (von links nach rechts)