Ein gemeinsames Versprechen

 

Als ehemalige Schüler des Beethoven-Gymnasiums, Abiturjahrgang 2021, hatten wir das große Glück, dass uns ein Platz im Reisebus der Studienfahrt nach Polen im Kreis der Mitreisenden eingeräumt worden ist. Als Studenten der Politik- und Wirtschaftswissenschaften, konnten wir so erleben, wie groß der Verzicht auf die Studienfahrten aufgrund der Pandemie in unserem eigenen Abschlussjahr wirklich war.

Von Bonn reisten wir über Weimar, den Fluchtpunkt der einst jungen deutschen Republik und den Keim deutscher Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aus deren Herz sich doch bald der nationalsozialistische Terror herausschälte, nach Breslau. Die Hauptstadt Schlesiens präsentierte sich uns in ihrem kulturellen Reichtum, auch ihrer bewegten Geschichte und ihrem gewaltvollen Schicksal wechselnder Besatzungsmächte, schließlich des nationalsozialistischen Terrors, etwa dessen antisemitischer Pogrome des nächtlichen Novembers 1938. Einige ihrer berühmtesten Persönlichkeiten, darunter die deutsche Philosophin und Frauenrechtlerin Edith Stein, die auch aufgrund ihrer jüdischen Herkunft den Nationalsozialisten zum Opfer fiel, oder auch Dietrich Bonhoeffer, der als Theologe dem NS-Regime entgegentrat, schienen uns als hell-freiheitliches Licht, das dem faschistischen Schatten trotzte und dennoch von ihm absorbiert wurde.

Richtung Süden reisten wir nach Krakau und bestaunten dessen bezaubernde Architektur, dessen reiches geistiges Erbe, doch waren ebenso von dem im Verlauf des Zwei- ten Weltkriegs an diesen angerichteten Schaden erschüttert. Und schließlich brachen wir auf zu der wohl schwersten, wenn auch beeindruckendsten Station unserer Reise – einem Ort, der uns das Grauen und die Grenzen menschlicher Perversion in einer derartigen Drastik, fern von allen historischen Dokumenten und Lehrbuchtexten, und vollendeter Abartigkeit vor Augen führte, dass uns das Bewusstsein von der Schande Deutschlands, von der Singularität des nationalsozialistischen Vernichtungsverbrechens an allen Menschen jüdischen Glaubens und der ganzen Welt vollends vereinnahmte. Auf den Wegen und durch die Baracken von Auschwitz eröffnete sich uns ein Bild des Schreckens derartiger Unvorstellbarkeit, dass sowohl während als auch nach unserem Besuch entweder vollkommene Stille der Betroffenheit und Fassungslosigkeit oder aber langsam dumpfe Gespräche der Sprachlosigkeit und der Ratlosigkeit anklangen.

Ich denke, wir fühlten uns hilflos, abgestoßen in uferlosem Entsetzen, vielleicht auch in Scham, in unserer Hilflosigkeit, bestimmt aber nicht vor uns, der Zukunft und dem Schicksal resigniert, vielmehr entschlossen. Am darauffolgenden Begegnungstag berichteten uns die polnischen Schüler*innen von einer noch immer erhaltenen und weit verbreiteten Abscheu vieler Pol*innen gegenüber dem Deutschen – dessen Sprache, Kultur und vornehmlich dessen Vergangenheit –, doch andererseits sprachen viele der jungen Pol*innen auch eine gewisse persönliche Bewunderung aus gegenüber der deutschen Nation und ihrer Bevölkerung in deren Einsatz für eine Aufarbeitung ihrer Verbrechen, in deren Kontinuität heute ein recht progressiver und liberaler Rechtsstaat, eine entwickelte Demokratie und die Achtung vor dem Individuum und seiner Würde steht. Ich denke, in der trügerischen Überzeugung von der Selbstverständlichkeit demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien und der grausamen Einsicht der darin liegenden Fehleinschätzung, gingen wir in Auschwitz beinah in die Knie, flossen uns die Tränen oder versagte uns die Stimme. Aber hielten wir uns ebenso in den Armen, versuchten gemeinsam Erfahrenes zu bewältigen und gaben uns darin gegenseitig das Versprechen, mit aller uns möglichen Kraft zu verhindern, dass ein derartiger Wahnsinn je wieder Realität wird. Unsere Begegnung mit Polen, dessen Menschen, kulturellem Reichtum und beispiellosen Schreckensorten führte uns die Alternativlosigkeit unseres Versprechens vor Augen, zeigte uns ebenso, zu welcher Entwicklung wir gemeinsam als Europäer*innen in der Lage sind: Wir kehrten zurück mit eindringlichster Warnung und Verantwortungsbewusstsein, mit Hoffnung und Zuversicht – und mit einem fundamentalen Versprechen.

Leonard Wunderlich (Text) Johannes Gierth (Fotos) Abiturjahrgang 2021