Berlinfahrt der Jahrgangsstufe Q2

 Wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie fand im Januar für die Jahrgangsstufe Q2 die Berlinfahrt statt. Auf der traditionell geschichtlich orientierten Fahrt lernten die interessierten SchülerInnen die Stadt Berlin einerseits im Nationalsozialismus, andererseits als Brennpunkt des zweigeteilten Deutschlands neu kennen. 

Am Samstag, dem 15.01.2022, machten wir uns mit einer Gruppe von etwa 35 interessierten SchülerInnen und drei begleitenden Lehrkräften voller Vorfreude auf den Weg nach Berlin. Kurz vor der Abreise musste Herr Muschellik noch ein neues Hostel finden, da unser langjähriges wegen Corona kurzfristig für mehrere Wochen schloss. Aufgrund der Pandemiesituation wurde das Foyer des neuen Hostels von den Lehrkräften zur täglichen exklusiven Corona-Teststation für die BG-SchülerInnen umfunktioniert. Nach der Ankunft in der Jugendherberge brachen wir zu einem historischen Stadtspaziergang entlang der Geschichtsmeile Wilhelmstraße auf. Schon am ersten Abend konnten wir so einen Einblick in die bewegte Geschichte Berlins erhalten. 

Am ersten Tag wurden wir für die jeweiligen Programmpunkte in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe besuchte das Haus der Wannseekonferenz, passenderweise kurz vor dem 80. Jahrestag des Ereignisses. Die Wannseekonferenz gilt als Beginn des organisierten Holocausts in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Vor Ort folgten wir einem Vortrag über die Sprache der Nationalsozialisten und über die Biografien der teilnehmenden Nationalsozialisten, die oftmals nicht dem Stereotyp eines „bösen Täters“ entsprechen und damit unter Beweis stellen, wozu alltägliche Menschen fähig sind.

Eine weitere Gruppe erarbeitete Vorträge über Menschen im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Wir empfanden diese Lebensgeschichten als beeindruckende Beispiele, wie Menschen sich selbst in Gefahr begeben, um ihre Werte oder ihr Leben zu verteidigen. Es wurde deutlich, dass fast jeder deutsche Bürger im Nationalsozialismus die Möglichkeit besaß, Widerstand zu leisten. 

Die dritte Gruppe besuchte die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, die die Zwangsmigration im 20. Jahrhundert und darüber hinaus beleuchtet, mit besonderem Schwerpunkt auf der Flucht der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und ihrer anschließenden Integration in West- und Ostdeutschland.

Die Abende waren frei gestaltbar und wurden genutzt, um sich in der Vielfalt der Berliner Abendlokale über die Erlebnisse des Tages in bereichernden Gesprächen auszutauschen.

Am zweiten Tag besuchte eine Gruppe die Topographie des Terrors, ein Projekt zur Dokumentation und Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie die MitarbeiterInnen des NS-Terrorapparates die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen in Deutschland und ganz Europa planten, organisierten und umsetzten und was dies für die Opfer bedeutete. Die Führung endete mit der Frage nach dem Umgang mit diesen Tätern im Nachkriegsdeutschland.

Außerdem besichtigte eine weitere Gruppe in Schöneweide das letzte in Berlin noch weitgehend erhaltene NS-Zwangsarbeitslager. Auf dem Gelände an der Britzer Straße, mitten in einem Wohngebiet, waren ab Ende 1943 bis 1945 ZwangsarbeiterInnen vor den Augen der Bevölkerung interniert. Das Dokumentationszentrum informiert über die Geschichte der Zwangsarbeit unter dem NS-Regime, welches rund 26 Millionen Menschen zur Arbeit zwang.

Der letzte Tag war der Geschichte der DDR gewidmet. Nahe der Stiftung Berliner Mauer erhielten wir SchülerInnen  Einblick in die Geschichte der Berliner Mauer sowie ihrer Bedeutung für die Bevölkerung von Ost- und Westberlin. Für die einzelnen Gruppen ging es daraufhin in Gespräche mit unterschiedlichen Zeitzeugen. So berichtete etwa ein sogenannter „Tunnelgräber“, der versucht hatte, Freunden und Verwandten zur Flucht aus der DDR zu verhelfen. Für viele war diese Erfahrung von tatsächlich erlebter Geschichte der Höhepunkt der Berlinfahrt.

Mehreren Gruppen erzählte zudem ein ehemaliger Häftling im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen von seiner Geschichte in der DDR. Jugendlich-naiv und leichtsinnig hatte er es mit 18 Jahren gewagt, einen Antrag auf Ausreise an der Grenze der DDR in Berlin zu stellen, und wurde daraufhin für 10 Monate im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen inhaftiert. Seine Erfahrungen der Gewalt und der brutalen Machtausübung in der DDR hinterließen einen nachhaltigen Eindruck.

Zuletzt besuchte eine Gruppe das Notaufnahmelager Marienfelde, die erste Anlaufstelle für Menschen, die aus der DDR in die Bundesrepublik flohen. Am Ort des Geschehens berichtete eine Zeitzeugin von ihren Gründen, die DDR zu verlassen, von der Flucht und der Ankunft im Notaufnahmelager sowie den Herausforderungen des Neuanfangs. 

Viel zu schnell verging die Zeit, und so traten wir, bereichert um zahlreiche Erkenntnisse zur Geschichte des Nationalsozialismus und der DDR, am Mittwoch die Heimreise an. Alle Beteiligten blicken auf die Berlinfahrt mit einem Gefühl der Zufriedenheit zurück, dankbar, einige Fragen losgeworden und zum Ende der Schullaufbahn gemeinsam in der Beschäftigung mit Deutschlands bewegter Geschichte zusammengewachsen zu sein.

Vor allem bedanken wir SchülerInnen uns herzlichst bei Herrn Muschellik, Frau Schaaf und Herrn Weitz für die Organisation und Durchführung einer so erkenntnis- und erlebnisreichen Fahrt. Für alle Beteiligten war die Berlinfahrt ein großer Erfolg.

Christian Hovestadt (Schüler der Q2)